«Vorurteile sind emotional gefärbte Meinungen, die oft aus Angst und Unwissen entstehen»
Noëlle Berg – die Zürcher Künstlerin und Autorin der Publikation KOPFSCHUBLADEN möchte mit ihrer Arbeit soziale Konditionierungen und Referenzkultur entlarven. Das entstehende Werk soll irritieren – und uns dazu verführen, die Dinge anders zu denken. Im Interview verrät sie uns mehr über das Buch und seine Entstehung.
Liebe Noëlle, wie bist du auf die Idee für das KOPFSCHUBLADEN-Buch gekommen?
Durch Erfahrungen in meinen Berufs- und Lebensfeldern. So erlebe ich beispielsweise als Heilpädagogin immer wieder, welche Vorurteile gegenüber Menschen mit einer Beeinträchtigung gehegt werden und sich leider hartnäckig halten.
Wie lief die Zusammenarbeit mit vatter&vatter?
Von Beginn an sehr offen und herzlich! Ich bin dem Verlag dankbar für die Möglichkeit, nicht nur eine Publikation erarbeiten, sondern schon während des Entstehungsprozesses die Sensibilisierungsarbeit ins Zentrum rücken zu dürfen. Dadurch entstand ein grosses Miteinander, auch mit wertvollen Kooperationspartner:innen.
Wie habt ihr die Vorurteile für das Buch gesammelt?
Als ich die Idee für ein Umklappbuch mit Vorurteilen zum Abwandeln und Neuformen hatte, begann ich in meinem Umfeld und diversen Medien Vorurteile zu sammeln. Solche, die wir hegen und solche, die wir erfahren. Durch die Kooperationen mit dem Jugendpartizipationsprojekt imagine von terre des hommes Schweiz, der Kornhausbibliothek Bern und dem Vorurteilsorakel weitete sich das Spektrum an Personen und Perspektiven. Dadurch konnten wir auch Vorurteile sammeln und für die Publikation auswählen, welche beispielsweise ich als weisse und privilegierte Person nicht erfahre.
Welches ist die absurdeste Vorurteils-Kombination, die man mit dem Umklappbuch formen kann?
Fast alle. Das Buch soll durch sein Format die Absurdität des eigenen Denkens aufzeigen. Im besten Fall regen alle Kombinationen zum Nach-, Über- und Umdenken an.
Welche Vorurteils-Kombination enthält für dich einen Kern Wahrheit?
«Männer haben einen guten Zusammenhalt.» Aber nicht nur im Positiven. Denn leider zeigt sich gerade in Diskussionen um sexualisierte Gewalt immer wieder, dass Männer innerhalb von Berufsgruppen zusammenhalten, einander passiv oder aktiv unterstützen, und die Täter so unbehelligt bleiben.
Gibt es Schubladen, die du selbst fast nicht aus dem Kopf bekommst?
«Banker:innen sind korrupt.» Da ich nicht sehr pekuniär denkend bin, fällt es mir schwer zu glauben, dass sich jemand uneigennützig mit Geld beschäftigt. Diese Aussage allein zeigt, wie wenig Ahnung ich vom Bankenwesen habe. Und wie mein marginales Wissen Personen auf ein Merkmal zusammenschnürt. Und genau das sind Vorurteile: Sie reduzieren eine Person auf ein Merkmal, sind emotional gefärbte Meinungen, entstanden oft aus Angst und Unwissen.
Sind denn Vorurteile auch nützlich?
Vorurteile nicht. Kategorien oder Labels ja. Sie stiften Identität. Doch auch hier gilt: Eine Kategorie allein erfasst noch lange nicht die gesamte Person.
Und was denkst du: Sollte es unser Ziel sein, überhaupt keine Vorurteile mehr zu haben?
Vorurteile werden uns immer und überall begleiten und begegnen. Es bauen sich alte ab und entstehen neue. Das Ziel sollte es sein, Ängste und Unverständnis zu reflektieren, um so diskriminierende Handlungsweisen und Aussagen zu verändern und aufzulösen.
Interview: Annina Schneller
cmusy says: